ÖkEsFo Nummer 12 -
3. Jahrgang - September / 1993
Wege der Versöhnung Perspektiven
deutsch-polnischer Begegnung
Roman Forycki
Ein starkes Echo fand die von der Katholischen Akademie
der Erzdiözese Freiburg in Villingen vom 26.-28. März 1993 veranstaltete
Tagung "Grenze als Chance" (ÖkEsFo Nr.8, S.38). Dr. Forycki arbeitet
derzeit in Warschau am Aufbau einer neuen katholischen Universität
mit. Nach Lublin wird dies die zweite kirchliche Universität Polens
sein.
In ÖkEsFo Nr.10, S. 46 ff. haben wir bereits begonnen,
dieses Referat zu veröffentlichen. Wir wollten es in Fortsetzungen
in den nächsten Nummern von ÖkEsFo abdrucken. Aber Teilveröffentlichungen
sind immer mißverständlich, weil Gedanken aus einem Gesamtzusammenhang
herausgenommen werden. Inzwischen hat sich aber auch viel Informationsmaterial
angesammelt, so daß es uns an Platz für weitere Teilveröffentlichungen
mangelt. Daher veröffentlichen wir nun den ganzen Vortrag von Dr.
Forycki also einschließlich des bereits in ÖkEsFo 11/93
abgedruckten 1. Teils in einer ÖkEsFo-Sondernummer 12/92.
Bemerkenswert für Esperantofreunde: Der Referent
hat sein Referat auf Esperanto ausgearbeitet und in deutscher Übersetzung
vorgetragen. Die anschließende Diskussion wurde zweisprachig in Esperanto
und Deutsch durchgeführt. Dolmetscher war Adolf Burkhardt.
Es folgen hier einige teilweise stark gekürzte Ausschnitte
des Vortrages. Nach einer biblisch-theologischen Grundlegung über
Versöhnung zwischen Gott und Mensch und den Folgerungen für die
Menschen, insbesondere die Christen, sagte Dr. Forycki:
Sehr geehrte Damen und Herren!
Leider leben auch die Christen nicht immer als Versöhnte in Eintracht
und Frieden. Sie betonen oft unwesentliche Unterschiede. ... Sie beten
zum Vater aller Menschen und wenden sich doch gegen ihre Schwestern und
Brüder. Es fehlt oft am genügenden Einsatz, um die Versöhnung
zu verwirklichen. Dabei dient diesem Ziel jede Geste der Versöhnung
und der Einheit, jede auf Einigung zielende Denkweise. Bemühung und
Wunsch nach solchen Zeichen müssen vervielfacht werden. Dabei ist
unwichtig, was jemand ist: reich oder arm, Wissenschaftler oder einfacher
Mensch, schwach oder stark, Deutscher oder Pole. Wichtig ist nur der Mensch.
Die Teilhabe an der Menschennatur ist die Grundlage aller menschlichen
Einheit und Solidarität. Nach dem Konzil "hat Christus, der die Menschennatur
erhalten hat, die ganze Menschheit in einer Familie mit sich verbunden
durch eine übernatürliche Solidarität" (So das Konzilsdekret
über das Apostolat der Laien 8). ... Dennoch, um diese Solidarität
zu verwirklichen, muß man alles wegwerfen, was dem entgegensteht.
Wir wissen, das unsere Sünde ein solches Hindernis ist. Das allergrößte
Hindernis aber ist, diese Sünden sich gar nicht einzugestehen. Leider
möchten viele nicht eingestehen, daß sie Sünder sind. Meistens
schieben die Menschen die Schuld den anderen zu. Und das Eingeständnis
der Schuld ist notwendig, damit Vergebung und Versöhnung sich ereignen
können.
Unsere Versöhnung mit Gott ermöglicht die wahre Versöhnung mit
dem Nächsten, denn nach dem Konzil "überschreitet Versöhnung
menschliche Kräfte und Möglichkeiten" (So das Dekret über
den Ökumenismus 24). Und ohne die Versöhnung mit Gott kann
unsere Versöhnung mit Menschen nur eine scheinbare und äußerliche
sein, unehrlich und voller Vorwände. Vor Gott können wir nicht
schauspielern, denn Gott sieht unsere Gedanken, Gefühle, Absichten
und Motive. Er also ermöglicht es, daß wir auch vor den Menschen
lauter sind. Das Bekenntnis und die Abwendung von der Sünde vor
Gott hat so eine fundamentale Bedeutung für die Versöhnung
mit den Menschen. Auch daran sollten wir denken wenn es um die Beziehungen
zwischen Deutschen und Polen geht.
A. Die historischen Grundlagen
Wir wissen aus der Geschichte, daß die Anfänge des Christentums
in Polen wie auch der Anfang des polnischen Staates durch gute Beziehungen
zwischen Otto dem Dritten und Mesko dem Ersten sowie Boleslaw Chrobry gekennzeichnet
waren.
Der Kaiser half ihnen, Staat und kirchliche Verwaltung zu schaffen,
und Polen half dem Kaiser, den Plan des Reiches über die ganze nichtbyzantinische
Welt zu verwirklichen. So leistete Polen seinen Beitrag zur Formung Osteuropas,
und es hatte gute Beziehungen zu seinen westlichen Nachbarn. Polen pflegte
einen lebhaften Austausch mit den Ländern an seiner Westgrenze, ebenso
mit Österreich und Italien. Zwischen den polnischen Städten Kalisz
und Krakau einerseits und den deutschen Städten Speyer und Mainz andererseits
entwickelte sich nicht nur Handelsaustausch. Aus dem Westen kamen Benediktiner
und Dominikaner, und sie breiteten sich rasch aus.
Für polnische Stadtgründungen hatte das magdeburgische Gesetz
große Bedeutung. Es bewirkte, daß deutsche Händler, Architekten
und Künstler nach Polen kamen. Sie behielten ihre Familiennamen, obwohl
viele von ihnen Polen wurden. Bei der großen Krakauer Marienkirche
finden wir bis zum heutigen Tag Grabaufschriften von deutschen Familien
aus dem Mittelalter.
Das klassische Beispiel polnischdeutscher Zusammenarbeit im Mittelalter
ist der weltbekannte Bildhauer Wit Stwosz (Veit Stoß) in Nürnberg,
der beinahe sein ganzes Leben in Krakau arbeitete. Dort schuf er auch eine
eigene Künstlerschule, von der aus die polnische Kultur sehr bereichert
wurde.
Von Deutschland aus zogen auch Glaubensboten und Heilige nach Polen.
... Wichtig ist die heilige Hedwig, geboren in Andechs, Gemahlin des polnischen
Regenten von Schlesien, Heinrich Brotaty. Sie hat in Trzebiania den Orden
der Zisterzienserinnen gegründet. Dort befindet sich auch ihr Grab.
Um dem polnischen Volk besser dienen zu können, erlernte sie sogar
die polnische Sprache. So gab sie ein lebendiges Beispiel, wie man Brücken
bauen kann zwischen Polen und Deutschen.
Heilige bauen solche Brücken besonders gut. Sie nehmen niemand etwas weg,
weder Sprache noch Land noch Sitten noch irgend etwas vom Eigentum.
Im Gegenteil, sie bringen das, was am wertvollsten und am meisten geschätzt
ist, nur um den Nächsten zu bereichern. Gerade deshalb pilgern
so viele zum Grab der heiligen Hedwig, nicht nur Schlesier und Polen,
sondern auch Ungarn, Tschechen, Slowaken und Deutsche. Ihr Fest ist
international. ...
B. Aus der Geschichte schlimmer Beziehungen zwischen Deutschen und Polen
Leider waren die Beziehungen zwischen Deutschen und Polen nicht immer
ohne Tadel. Das fing an mit den Ordensrittern und ihrer Praxis der gewaltsamen
Bekehrung. Die Methode der Gewalt übernahmen dann die Preußen.
Sie verachteten nicht nur Sprache und Gewohnheiten der Polen, sondern sie
führten auch mehrere Teilungen Polens durch. Sie nahmen den Polen
auch die ältesten Teile des polnischen Landes weg mit deren ersten
Hauptstädten Gniezno und Pozna. Die Teilungen hat das polnische Volk
nie hingenommen. Deshalb konnte Preußen auch eine 120 Jahre dauernde
Teilung Polens nicht weiterführen. Im Gegenteil und gerade deshalb
ist die Germanisierung praktisch gescheitert. Und aus demselben Grunde
mißlang auch Bismarcks Kampf gegen die polnische Kultur und ihre
Kirche.
Folge ist allerdings, daß mehr und mehr Polen gegen Deutsche eingestellt
sind, in einer Art und Weise, wie es bei Christen nicht sein darf.
Die jüngste Geschichte dieser Beziehungen ist mit dem Hitlerismus
verbunden, der nicht nur das Land, sondern die Existenz Polens überhaupt
bedrohte. Man wollte durch Ausrottung der polnischen Intelektuellen das
ganze polnische Volk vernichten. Tatsächlich kamen sechs Millionen
polnische Bürger um. Unter Intelektuellen verstand man die polnischen
Pfarrer, Lehrer, Offiziere, Besitzer großer Güter und Handelshäuser,
Schriftsteller und Journalisten, kurz: alle Personen mit höherer und
mittlerer Bildung. Der Hitlerismus behandelte die Polen als Untermenschen,
unfähig, ihre Güter zu verwalten und vernünftig zu bewirtschaften.
Diese Verachtung richtete sich nicht nur gegen Polen, sondern auch gegen
Juden und gegen alle slawischen Völker.
Dies macht die Haltung der Polen gegen die Deutschen verständlich. Denn
diese Haltung mußte sich ständig verteidigen und absichern,
ja sie wurde feindselig.
C. Ist dies eine unüberwindliche Feindschaft?
Manche sehen die guten Perspektiven gar nicht. Das sind Leute, die von
Feindschaft und Haß als etwas geradezu Naturgegebenem reden. Dann
müßten freilich alle Mühen um Annäherung und Freundschaft
scheitern.
Stimmt das? Die Anfänge der gegenseitigen Beziehungen zwischen
Polen und Deutschen widersprechen dem. Und während der ganzen Geschichte
dieser Beziehungen findet man Deutsche und Polen, die sich freundschaftlich
und brüderlich verhalten haben. Auch während des letzten Weltkrieges
haben viele Deutsche das Gleiche erlitten wie die Polen. Viele Deutsche
hatten Mitleid mit verfolgten Polen, haben geholfen und viele Zeichen wahrer
Freundschaft gegeben. Ähnlich war es nach dem Krieg, als das polnische
Land Hilfe brauchte.
Und diejenigen, die sich unter nationalsozialistischem Einfluß
falsch verhielten, brauchen nun Vergebung. Oft genug haben sie an ihren
schweren Gewissensbissen gelitten und bedauern nun ihre Untaten. Wenn wir
ihnen jetzt vergeben, können wir endgültig das Böse überwinden
und einen Weg der Versöhnung und Verbrüderung vorbereiten.
Zu diesem Entschluß kamen die polnischen Bischöfe am Ende
des 2. Vatikanischen Konzils, als sie an die deutschen Bischöfe jene
besondere Botschaft der Vergebung richteten. Sie schrieben: "Wir vergeben
und wir bitten um Vergebung". Diese Worte wurden in Polen heftig kritisiert.
Erst später kam man zur Überzeugung, daß Schuld selten
nur auf einer Seite liegt. Meistens sind beide Seiten irgendwie schuld.
Die Botschaft war von den deutschen Bischöfen gut aufgenommen worden.
Sie bejahten diese Botschaft in der Hoffnung, daß zu den künftigen
Beziehungen zwischen Deutschen und Polen der ständige Dialog gehört.
Sie weisen darauf hin: wir müssen mehr und mehr als Kinder des einen
Vaters im Himmel leben. Und sie hoffen, daß Polen im christlichen
Europa wieder jene Rolle übernehmen kann, die ihm in der Geschichte
zufiel. Der gemeinsame Glaube müßte das möglich machen.
Vergebung schließt ein, daß man eigene Schuld zugibt. Zu
den häufigsten Fehlern zwischen Menschen gehören Egoismus, Geringschätzung,
Aggression und Gewalt. Viele Fehler sind Polen wie Deutschen gemeinsam.
Andere unterscheiden sich. Was ist mein Fehler, meine Sünde?
Das ist die fundamentale Frage. Was tue ich, um Vergebung zu erlangen?
Und schließlich: Wie arbeite ich mit in meiner Nation und für
andere Nationen, daß sie wachsen und sich entwickeln können?
Gehören Wahrheit, Güte, Gerechtigkeit und Liebe zu meinen höchsten
Werten? Der Geist der Vergebung und Versöhnung entwickelt Hochschätzung,
kultivierten Umgang, Höflichkeit, Ehrlichkeit und Sehnsucht nach Gerechtigkeit.
Nicht zuerst andere beschuldigen, sondern zuerst die Schuld bei sich selbst
suchen! Das ist der Weg zur Versöhnung, ist Hintergrund des Dialoges.
Wahre Freundschaft meidet die Wahrheit nicht, im Gegenteil, sie bringt
die Wahrheit in Liebe zur Sprache. Wahre Freundschaft respektiert, was
indiskutabel ist, und diskutiert das, was der Klärung und Berichtigung
bedarf. ...
Es ist nicht nur nützlich, sondern unabdingbar, miteinander in
einen Dialog zu treten. Trotz aller Schwierigkeiten. Trotz bisher geringer
Erfolge. Ja gerade deswegen. Für einen solchen Dialog müssen
wir uns rüsten. Der Dialog spielt eine wichtige Rolle schon in einer
kleinen Familie. Er spielt eine besondere Rolle in der Versöhnung
zwischen den Nationen. Und ich denke, daß die deutsch-polnischen
Beziehungen hier keine Ausnahme bilden.
Im Dialog kann man unwahre und unrichtige Meinungen auf beiden Seiten
widerlegen, beispielsweise eine polnische Meinung, die Deutschen seien
aggressiv und grausam, oder eine deutsche Meinung, die Polen seien primitiv
und ungebildet. Der Dialog ermöglicht es, Verallgemeinerungen, Übertreibungen
und Einseitigkeiten zu vermeiden. In der Geschichte hat oft genug die eine
Unwahrheit die andere erzeugt. So hat beispielsweise das Buch "Deutschland
und Polen", herausgegeben im Jahr 1933 in Deutschland, das Buch "Niemcy
a Polska" provoziert, das im Jahre 1934 in Polen erschien. Das gehässige
Buch mit dem Titel "Das ist Polen" des Deutschen Oertzen hatte das ebenso
gehässige Buch mit dem Titel "Oto Prusky" des Polen Bielski zur Folge.
Ein wahrer Dialog aber ermöglicht es, historische Zweifel zu klären
und gegenseitige Anklagen zu vermeiden.
Im Dialog können wir die wirklichen Gründe gegenseitiger Abneigungen
erkennen und uns überzeugen, daß sie oft auf Mißverständnissen
beruhen, oder politischen und ideologischen Charakter haben. Der Dialog
ermöglicht uns, die Geschichte von solchen falschen Einflüssen
zu befreien und eine für alle akzeptable Geschichte unserer Beziehungen
zu schreiben. Dafür müssen wir in unserem Reden und Schreiben
eintreten, in den wissenschaftlichen Veröffentlichungen wie in
den Schulbüchern. Die Wissenschaft darf nicht als Instrument der
Beschädigung oder Vernichtung irgend einer Nation oder Sprache
mißbraucht werden. Sie muß immer der Versöhnung dienen.
D. Was wurde bisher getan mit dem Ziel, einen Dialog zu erreichen?
Am 14. November 1990 haben die Verantwortlichen unserer beiden Länder
einen Vertrag über unsere gemeinsame Grenze abgeschlossen, und am
17. Juni 1991 einen Vertrag über gutnachbarschaftliche und freundschaftliche
Zusammenarbeit.
Im Jahr 1976 haben unsere Länder die Initiative ergriffen, gemeinsam
akzeptierte Schulbücher zu erarbeiten. Bis jetzt haben wir die sogenannten
"Empfehlungen für Schulbücher zur Geschichte und Erdkunde", und
es gibt regelmäßige Begegnungen um Verbesserungen zu erarbeiten
und Problemen zu lösen, die sich bei der Anwendung der genannten "Empfehlungen"
ergeben.
Schon seit dem Jahre 1945 haben unsere Länder angefangen, beiderseitige
Literatur zu übersetzen und herauszugeben. Bis 1990 hat man in Deutschland
mehr als eintausend polnische Bücher herausgegeben, klassische und
neuzeitliche. Die Deutschen kennen schon die Werke von so bekannten Schriftstellern
wie Mickiewicz, Krascewski, Sienkiewicz, Reymont, aber auch von Andrzejewski,
Brandys, Lem und Miosz. Ebenso kennen die Polen die Werke von Goethe, Thomas
Mann und Brecht.
Aber das genügt nicht. Die Situation in Europa hat sich ja wesentlich
gewandelt. Ohne die wirkliche Vereinigung von Osteuropa mit Mittel
und Westeuropa ist der Traum von Europa nicht zu verwirklichen. Und eine
Beschleunigung dieses Prozesses hängt größtenteils von
unseren Beziehungen ab. Darüber hat der deutsche Bundespräsident
Richard von Weizsäcker bei seinem Aufenthalt in Warschau am 2. Mai
1990 gesprochen. Er sagte unter anderem: "Wir Deutsche und Polen wohnen
nebeneinander im Herzen Europas. In dieser Zeit einer historischen Wende
sind wir für dieses Herz Europas verantwortlich. Dank unserer gegenseitigen
Verständigung können wir das ganze Europa einer freien und friedlichen
Zukunft näher bringen".
Deswegen ist es notwendig, unsere Kontakte zu erweitern. Sie müssen
persönlicher werden. Wir sollten miteinander nachdenken und diskutieren,
wie man diese Annäherung besser realisieren kann. ...
Unserem Ziele können auch andere Veranstaltungen der Kirche dienen,
zum Beispiel der Katholikentag in Dresden 1994 oder die jährlichen
Wallfahrten zum polnischen Wallfahrtsort Tschenstochau. Ich lade Sie ein,
nach Polen zu kommen. Laden Sie Polen nach Deutschland ein. Ich bedanke
mich herzlich, daß ich zu dieser Veranstaltung eingeladen wurde.
Ich darf erleben, wie man hier miteinander lebt. Schreiben Sie uns Briefe,
lesen Sie Bücher über unser Land, regen Sie Übersetzungen
an, riskieren Sie die Herausgabe solcher Bücher. Wir Polen schätzen
deutsche Sprache und Literatur hoch ein.
Es gibt eine lange Liste von polnischen Städten und Pfarreien,
die gerne einen beidseitigen Kontakt mit einer deutschen Stadt oder Pfarrei
in die Wege leiten möchten. Tun Sie sich in Ihren Gemeinden mit anderen
zusammen. Zwei oder drei, die es ernst meinen, können in einer Gemeinde
eine solche Partnerschaft begründen und betreiben.
Diese Kontakte können entscheidend sein. So war es ja auch bei den Beziehungen
zwischen Deutschland und Frankreich. Die Deutschen haben eine wunderbare
Leistung vollbracht: Sie haben zusammen mit dem französischen Volk
eine Jahrhunderte alte Erbfeindschaft binnen einer Generation in eine
Völkerfreundschaft verwandelt. Politiker wie Adenauer, de Gaulle,
de Gaspari, und andere haben nach einem furchtbaren Krieg die Weichen
gestellt. Laßt uns miteinander nachdenken, mit welchen Mitteln
das erreicht wurde. Laßt uns ebenso handeln und die so fruchtbaren
Wege der deutsch-französischen Partnerschaft auch auf eine wachsende
deutsch-polnische Partnerschaft ausdehnen.
E. Die Rolle der internationalen Sprache Esperanto
Wie soll man das verwirklichen, wenn wir keine gemeinsame Sprache haben?
Wer in Deutschland kann Polnisch? "Man kann doch nicht auch noch Polnisch
lernen", denkt nun mancher. Aber was tun? Wenn man diese Schwierigkeiten
betrachtet, erkennt man, daß die internationale Sprache Esperanto
die Lösung des Problems ist. Sie ist ja eine Brückensprache,
ist relativ leicht zu lernen und wird seit 100 Jahren mit Erfolg bei
internationalen Kontakten praktiziert. Dank dieser Sprache finden Begegnungen
und Zusammenkünfte statt, die es sonst nie gäbe. Darunter
sind nicht nur Kongresse für solche, die Esperanto sprechen, sondern
auch Treffen und Seminare für solche, für die Esperanto nur
eine Brückensprache ist. Bei diesen Seminaren benützt eine
Gruppe der Teilnehmer ihre eigene Sprache, und Esperanto ist die Sprache
für die andern, die die Nationalsprache nicht beherrschen. So können
wir aus der Engführung der heutigen Sprachenpolitik herauskommen.
Deshalb ist es angemessen, Esperanto als zusätzliche Sprache bei
internationalen Kongressen und Zusammenkünften vorzuschlagen. Wenn
man Esperanto spricht, kann man sich dann als vollwertiger Teilnehmer fühlen.
Die Teilnehmer sind dann nicht unterteilt in die bevorzugte Gruppe derer,
die ungeniert ihre Muttersprache sprechen, und in die benachteiligte Gruppe
derer, die oft nur unvollständig und ungeschickt die fremde Sprache
sprechen. Das ist die innere Idee des Esperanto: Von überall her zusammenzuführen
und Grenzen der Trennung zu überschreiten.
Ich freue mich, daß immer häufiger bewiesen wird, daß dies
möglich ist. Man sieht das an dieser unserer Veranstaltung. Durch
Esperanto kam dieses Seminar zustande. Und in diesem Sommer wird im
polnischen Kloster Gostyn mit Esperanto ein Seminar Über die
christliche Soziallehre veranstaltet. Deutsche, Tschechen und Polen
organisieren die dortige Zusammenkunft, eine wahrhaft internationale
Zusammenarbeit. Ich lade die Akademie der Erzdiözese Freiburg ein:
Springen Sie über die Mauern Ihrer Diözese! Veranstalten Sie
bei uns in Polen Seminare! Wir haben gute, einfache, äußerst
billige Unterkünfte, zum Beispiel im genannten Gosty, ca. 200 km
östlich von Frankfurt an der Oder. Pfarrer Eichkorn hat mit tschechischen
und polnischen Mitarbeitern ein Jahresprogramm herausgegeben, das als
Anregung dienen kann.
Esperanto lernen heißt aber nicht, es sei nun nutzlos, die Sprache
des Nachbarlandes zu lernen. Solange Esperanto nicht allgemein verbreitet
ist, ist es richtig, Polnisch und Deutsch zu lernen. Es ist wichtig, daß
dies in Schulen und privat geschieht. Nicht nur wir Polen, auch Ihr Deutsche
braucht Dolmetscher und Übersetzer. Durch die Sprache findet man die
Kultur und durch die Sprache entsteht Verständigung. Solange es Ungleichheit
zwischen Sprachen gibt, so lange wird auch die Kultur der verschiedenen
Völker ungleich behandelt. Die Geschichte beweist, daß jeder
Sprachimperialismus Abneigung, ja Feindschaft hervorruft.
Zur Jugend gehört es, auf neue Ideen zu kommen. Schade, daß
beim Weltjugendtreffen 1991 in Tschenstochau die Jugend aus Deutschland
nicht dabei war. Vielleicht wären wir schon weiter. Jetzt sollten
wir uns beeilen, verlorene Zeit einzuholen. In den deutschfranzösischen
Beziehungen funktioniert der Austausch von Studenten gut. Wir hoffen, daß
es auch in den Beziehungen unserer Völker so sein wird. 1992 nahmen
an solchen Veranstaltungen 18 000 Deutsche und Polen teil. Im Jahr 1993
erhofft man bis zu 24 000 Jugendliche. Hoffnungsvoll stimmt auch, daß
am 1. Januar 1993 das deutschpolnische Jugendwerk seine Büros
in Warschau und Potsdam eröffnet hat. Man kann sich gar nicht ausmalen,
was das für die gegenseitige Begegnung und Verbrüderung bedeuten
kann.
So sind also die Perspektiven der Versöhnung zwischen unseren beiden Völkern
Garnichts so hoffnungslos. Man kann sogar feststellen, daß noch
nie eine derartige Bereitschaft zur Versöhnung bestand wie heute.
Heute erleben wir wahrhaft historische Chancen, die wir sehen und nützen
müssen. Noch nie war die Sinnlosigkeit von Gegeneinander und Feindschaft
so offensichtlich und klar. Unsere Nachbarschaft fordert uns zu Miteinander
und Freundschaft heraus. Vielleicht ist das der tiefste Sinn des größten
göttlichen Gebotes, der Nächstenliebe. Wenn wir das verstanden
haben, können wir von wahrem christlichem Zeugnis sprechen, das
wir einer zerrissenen Welt und besonders unserem Kontinent Europa geben
müssen.
Übersetzung aus dem Esperanto: Bernhard
Eichkorn
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